Taiwan ringt mit seiner Vergangenheit
27. August 2009Am Rand von Taiwans Hauptstadt Taipeh steht komplett erhalten das ehemalige Militärgefängnis von Jingmei. Betonmauern, Stacheldraht, Wachtürme und winzige Zellen. Hier waren politische Gefangene oft jahrelang ohne Prozess festgehalten worden. Ende 2007 hatte Taiwans Regierung das Gefängnis öffentlich zugänglich gemacht. Eine Ausstellung erinnerte an die Verbrechen der Vergangenheit. An der Macht war damals die Demokratische Fortschrittspartei, die aus dem Widerstand gegen die Diktatur hervorgegangen war.
Gut ein halbes Jahr später kam es zum Machtwechsel. Nach acht Jahren in der Opposition stellte die Kuomintang wieder den Präsidenten, die ehemalige Partei des Diktators Chiang Kai-shek. Kurz darauf ließ die Regierung die Gedenkstätte schließen.
Soll die Vergangenheit geschönt werden?
Ende 2009 soll sie wiedereröffnet werden, doch statt um die Vergangenheit der Insel soll es dann allgemein um Menschenrechte gehen. Huang Guang-hai ist aktiv in einer Organisation ehemaliger politischer Gefangener. Es sagt: "Wir sind natürlich sehr unzufrieden, weil die Kuomintang nicht zu den hässlichen Seiten ihrer Vergangenheit steht. Sie will sie sozusagen unter den Teppich kehren."
40 Jahre regierten die Nationalisten
Taiwan gilt heute als Musterdemokratie in Asien mit freien Wahlen, Meinungs- und Pressefreiheit. Doch das war nicht immer so. 40 Jahre lang regierte die nationalistische Kuomintang - also die jetzige Regierungspartei - die Insel. Allerdings, anders als heute, diktatorisch. In dieser Zeit waren zehntausende Andersdenkende hingerichtet worden oder spurlos verschwunden. Andere landeten im Kerker. So wie Huang Guang-hai. Der heute 82-Jährige war 1954 verhaftet worden. Sein Vergehen: Er hatte in Briefen an Freunde die Partei kritisiert. Die Strafe: lebenslänglich. "Als ich das Urteil bekam, war ich glücklich", sagt er. "Weil ich nicht sterben musste. Wenn man im Gefängnis sitzt, ist es egal, ob es zehn Jahre sind, 15 Jahre, oder lebenslänglich - wenn man nur nicht sterben muss." Er verbrachte schließlich 21 Jahre seines Lebens hinter Gittern. Er war eines der vielen Regimeopfer, die in den 1940er Jahren vom chinesischen Festland auf die Insel geflohen waren.
Dass Taiwan mit seiner Vergangenheit noch längst nicht im Reinen ist, konnte man jüngst auch im Zentrum der Hauptstadt Taipeh beobachten. Hier steht die riesige Gedenkhalle für Chiang Kai-shek, der als Kuomintang-Vorsitzender und Präsident fast 30 Jahre lang Taiwan beherrschte. Er war hauptverantwortlich für den politischen Terror dieser Zeit, doch viele verehren ihn noch heute als großen Staatsmann.
Streit um die Gedenkhalle für den Diktator
Auch hier hatte die Vorgänger-Regierung 2007 Zeichen setzen wollen und das Gebäude mit der riesigen Statue des Diktators umbenannt: "Taiwanesische Demokratie-Gedenkhalle" hieß das Gebäude nun. Eine Provokation - und nicht von langer Dauer. Die Namensänderung sei vom Parlament nicht abgesegnet gewesen, also illegal, so die neue Kuomintang-Regierung. Im Juli 2009 ließ sie den ganzen Platz mit Stacheldraht absperren. Hunderte Polizisten sorgten dafür, dass niemand stören konnte, als Bauarbeiter den Namen Chiang Kai-Sheks in meterhohen Schriftzeichen wieder an der Halle anbrachten. Ohnehin protestierte vor Ort nur eine Handvoll Menschen gegen diesen hochsymbolischen Akt.
Gegen den Vorwurf, undemokratisch zu sein, wehrt sich die Kuomintang natürlich. Tatsächlich hat die Partei sich längst zur Demokratie bekannt. Führende Politiker haben eingeräumt, dass die Partei in der Vergangenheit für viel Unrecht verantwortlich war. Nun sei es an der Zeit, die politische Spaltung der Gesellschaft zu überwinden, sagt der stellvertretende Bildungsminister Lü Mu-lin. Er war für die Umbenennung der Halle verantwortlich. "Wir verstehen, dass es zu diesem Thema unterschiedliche Meinungen gibt. Aber wir hoffen, dass die Menschen abweichende Meinungen respektieren können, damit unsere Gesellschaft harmonischer wird."
Verbrechen wurden nie aufgearbeitet
Kritiker dagegen meinen, hinter den Kulissen seien in der Partei die antidemokratischen Kräfte noch immer stark. Die Vorsitzende der oppositionellen Demokratischen Fortschrittspartei, Tsai Ing-Wen, warnt vor Verhaltensmustern aus der Zeit der Alleinherrschaft: "Ich habe noch nie eine so heimlichtuerische Regierung erlebt. Sie gibt den Bürgern keine Chance, sich an Entscheidungen zu beteiligen. Wir können doch nicht zulassen, dass öffentliche Gelder ausgegeben werden zum Gedenken an einen Diktator, der seine eigenen Bürger umgebracht hat."
Eine juristische Aufarbeitung der staatlich angeordneten Verbrechen hat es in Taiwan nie gegeben. Die Täter wurden nie zur Verantwortung gezogen - auch das ist ein Grund für das tiefe Misstrauen zwischen den politischen Lagern.
Autor: Klaus Bardenhagen
Redaktion: Miriam Klaussner